Das war also das Jubiläums-Treffen. Naja, das große Jubiläum war das 25. Treffen vor einigen Jahren mitsamt Eröffnungsveranstaltung im Vergnügungspark Belantis und Höhenfeuerwerk. Aber ein 30. ist auch ein rundes Jubiläum. Und es wurde gut gefeiert.
Donnerstagabend, Moritzbastei
Wie es sich für das geneigte Treffenvolk gehört, mische auch ich mich in eine der traditionellen Eröffnungspartys, die am Donnerstagabend schon auf das morgen offiziell eröffnete Wave-Gotik-Treffen einstimmen. Es sind die üblichen Verdächtigen, seit Jahren veranstaltet und immer wichtige Anlaufpunkte für das erste Treffen vieler Freunde, die sich gemeinsam auf dem WGT verabredet haben. Im Felsenkeller das „EBM WGT Warm-Up“, im Gothic-Club Darkflower die „WGT-Willkommensparty“ und in den Katakomben des traditionsreichen Studentenclubs Moritzbastei direkt neben der Leipziger Uni die „WGT-Eröffnungs-Feier“. Mich zieht es wie jedes Jahr zur Moritzbastei, weiß ich doch, dass dort meine Crowd aufschlägt und ich im Laufe des Abends alle Freunde und Bekannten einmal getroffen haben werde, ehe man sich dann in den nächsten Tagen auf verschiedene Konzert-Locations überall in der Stadt verstreut und sich nur noch hier und dort einmal sieht.
Erster Tag, Hellraiser
Am ersten Tag gibt es Metal auf die Ohren. Der seit Jahrzehnten bakannte Rock- und Metalclub Hellraiser im Osten von Leipzig gehört in diesem Jahr mit zu den Veranstaltungsstätten. Und versammelt am ersten Abend gleich einige Bands aus dem düster-schwermetallischen Bereich. Angefangen mit den Lokalmatadoren aus Leipzig, Molllust und ihrer Synthese aus Metal und Barock über Circus of Fools und dem Doom Metal von Ophis bis hin zu düsteren Black-Metal-Klängen von Groza und Schammasch. Und einen gemütlichen Biergarten hat das Hellraiser übrigens auch zu bieten.
Aber ehrlich gesagt hätte da schon noch mehr Treffenpublikum in den Saal hinein gepasst. Vielleicht ist Extrem-Metal – auch wenn es hier vor allem die düsteren Spielarten des Genres sind, die auch Schnittmengen zur Schwarzen Szene aufweisen, dann doch zu speziell? Oder liegt die Location zu weit außerhalb der typischen Wege beim Festival. Die meisten Gäste nehmen ja die Straßenbahn, um sich innerhalb Leipzigs zu bewegen und die übliche „Treffenlinie“ ist die Nummer 11, die von der Hauptlocation auf der agra im Süden zur Innenstadt und dann weiter nach Nordwesten fährt. Das Hellraiser ganz im äußeren Osten ist jedoch lediglich mit einer Buslinie an den ÖPNV angebunden, verkehrstechnisch also eher für Geduldige oder Autofahrer geeignet, weniger für neugierig umherreisendes Schnupperpublikum.
Zweiter Tag, Agra
Am Freitag ist die Agra-Halle mein Ziel. Hier, wo zu Vorwendezeiten die Landwirtschaftsausstellung der DDR ihr Domizil hatte, wo früher die neuesten Entwicklungen der sozialistischen Landtechnik, Traktoren, Scheibeneggen, Rübenernte-Maschinen, Kleintier- und Nutzpflanzenzucht und was es sonst noch alles rund um das Thema Landwirtschaft und Landtechnik gibt, vorgezeigt wurde, ist seit den 90erjahren das Zentrum des WGT. Die Freiflächen, die vor über 30 Jahren noch mit diversen Hallen bebaut war, nimmt heute den Campingplatz der Treffenbesucher auf und die zwei größten, noch übrig gebliebenen Hallen dienen als Szenemarkt und als Konzerthalle. Heute herrscht hier EBM und Electro. Nachtmahr, das Zweitprojekt von Thomas Rainer, bekannt von L’Âme Immortelle und die Mexikaner Hocico ballern dem Publikum ihren Aggrotech entgegen, Die EBM-Pioniere Front 242 werden auch nach über 30 Jahren noch frenetisch umjubelt. Und Covenant bringen eine Note eleganten Synthpop und Electro in den Abend.
Zwischendurch mache ich einen Abstecher zum Heidnischen Dorf, dem Mittelaltermarkt, der nur einen knappen Kilometer entfernt seine Zelte und Buden aufgeschlagen hat und der auf einer eigenen Bühne mit Folk und Mittelalter-Musik ein eigenes Unterhaltungsprogramm bietet. Hier treten unter anderem Mosaic aus Thüringen und Faun auf und begeistern das Publikum.
Dritter Tag, Heidnisches Dorf, Felsenkeller und Stadtbad
Neuer Tag, neue klocations. Heute habe ich viel vor. Zuerst den frühen Nachmittag ab ins Heidnischen Dorf. Während auf der zweiten, sehr kleinen rein akustischen Bühne kleine Dudelsack-Bands mit lustigen Namen wie Murkeley, Nachtwindheim oder Donner & Doria spaßige Lieder und Programme, die auch die jüngsten Festivalbesucher begeistern, darbieten, läuft auf der größeren Freilichtbühne im Heidnischen Dorf das Folk- und Metalprogramm an. XIV Dark Centuries singen von vergangenen Zeiten. Später treten noch Thyrfing, Skálmöld und Estampie auf.
Ich erreiche die nächste Spielstätte. Der Felsenkeller im Westen von Leipzig, im Stadtteil Plagwitz, bietet heute mit Perchta, Blackbriar, Elvenking, Eisregen und Rotting Christ eine wirklich bunte Mischung aus vielen verschiedenen Bereichen der Sparte der härteren Gitarrenmusik. Ich schaue mir Blackbriar und Elvenking an. Die Niederländer von Blackbriar spielen eine interessante Mischung aus Alternative Metal mit Elementen des Gothic Metal. Elvenking aus Italien dagegen sind Power Metaller, die ihr Thema in Fantasygeschichten gefunden haben. Spielfreudig auch sie. Der Felsenkeller ist gut besucht und das Publikum genießt die Musik.
Ich wechsle abermals und schaue weiter im Nordwesten von Leipzig im alten Stadtbad vorbei. Wo früher eines der seltenen Wellenbäder von den Leipzigern gut besucht wurde, befindet sich heute in der gleichen Halle eine Veranstaltungs-Location. Zum WGT spielen hier vor allem die etwas ätherischeren Bands und Künstler. Ich erwische noch die Post Punker von Blind Delon und Zanias, die sich vielleicht beim Minimal-Synth und Electro einordnen lässt.
Vierter Tag, Und wieder Heidnisches Dorf
Am letzten Tag entscheide ich mich wieder einmal für das Heidnische Dorf. Viel Mittelalter-Feeling – oder zumindest das, was einem die Mittelalter-Märkte so vorgaukeln. Dazu jede Menge gewandetes Publikum, das über das Gelände flaniert. Und die heute auftretenden Bands wie die Folk-Musiker von Tales of Nebelheym oder Dragol mit ihrem irgendwie schamanistischen Folk reichern das noch an. Viel Getrommel, ganz eigener Gesang und besonderes Outfit auf der Bühne ziehen auch schon am Nachmittag viel Publikum an. Es folgen die Kroaten von Manntra mit ihrem etwas härteren Folk und schon jetzt wird mit Pyro-Effekten eine Show wie bei einem Headliner geboten. Dem Publikum gefällts und es sind wie auch schon zu den anderen Tagen sehr viele Leute ins Heidnische Dorf gekommen.
Es folgen Koenix, die wieder zu den waschechten Dudelsack-Bands gehören. Danach spielen mit Rauhbein die heutigen Headliner im Heidnischen Dorf. Und am Ende verbreitet das Apocalypse Orchestra mit ihrer Mischung aus Mittelalter-Folk und Doom mystische Stimmung, ehe die Besucher für dieses Jahr wieder nach Hause geschickt werden. Das WGT 2023 ist aus und nun muss man wieder ein langes Jahr warten, ehe die nächste Ausgabe wieder um die 20.000 Anhänger der Schwarzen Szene, Gothics, New Romantics, Waver, Batcaver, Mittelalterfans, EBM-, Electro-, Synthpop-Liebhaber, Gothic Rocker und noch so viele mehr aus den unterschiedlichen Bereichen der Gothic Subkultur erneut nach Leipzig locken wird. Man wird erneut Freunde treffen, flanieren, schauen, Musik hören, neue Erfahrungen machen.
(Alle Bilder © Stefan Bollmann)