Kommen wir zum zweiten Teil der Nachbetrachtung des Wave-Gotik-Treffens 2017. Waren schon die ersten beiden Tage von einigen Höhepunkten und besonderen Bands geprägt, so setzte sich dies an den weiteren beiden Festivaltagen nahtlos fort.
Sonntag
Falls nach zwei Tagen ein wenig Treffen-Müdigkeit in den Knochen steckt, dann war dies die Stunde von Nachtblut. Mit knallhartem Sound sorgte die Hamburger Band dafür, dass jeder in der Nähe des Felsenkellers so richtig wach wurde. Musikalisch lässt sich Nachtblut wohl am besten mit einer Mischung aus Neue Deutsche Härte und Black Metal beschreiben. Die eingängigen Riffs könnten auch von Rammstein oder einem ihrer Derivate stammen und sind als eigener Kniff stark auf Metal gebürstet, das visuelle Erscheinungsbild erinnert mit einer Art Corpsepaint an Black-Metal-Bands. Die Band, die mit deutschen Texten auftritt, zog eine große Anhängerschar in den Felsenkeller, man wähnte sich schon fast bei einem Headliner, so sehr gefüllt war der Saal.
Die folgenden Black-Metaller von Unlight hingegen schafften es nicht, ganz so viel Publikum zu binden. Mit weniger Show als die vorher Spielenden und den typischen eher depressiven Themen des Genres ist es selbst auf dem WGT schwer, eine Halle voll zu bekommen. Die Schwaben sind immerhin schon seit 20 Jahren im Geschäft und demtnsprechend professionell lieferten sie auch ihren Auftritt ab.
Auch The Vision Bleak sind mittlerweile alte Hasen im Geschäft. Die Gothic-Metaller, die mit Vorliebe Horror-Geschichten aus der Literatur für ihre Songs adaptieren oder sich zumindest von ihnen inspirieren lassen und schon seit ihrem ersten Album „The Deathship Has a New Captain“ vor 14 Jahren eindrucksvoll gezeigt hatten, wohin ihr Weg denn so gehen wird (nämlich in musikalisch wie textlich düstere Gefilde voller Angst und Schrecken), sind mittlerweile etwas gesetzter geworden und fahren die Metal-Attitüde ein wenig zurück. Natürlich nur, was die Optik ihrer Auftritte angeht. Musikalisch ist alles beim alten und gute Unterhaltung mit einem leichten Gruselschauer zwischendurch war wie immer garantiert.
Es folgte ein krasser Wechsel. Nicht nur des Veranstaltungsortes, sondern auch des Musik-Genres. Mit S.P.O.C.K und ihrem Weltraum-Synthpop im Kohlrabizirkus. Schon in ihrem Opener schmetterte Sänger Alexander Hofman ein ikonisches aus Star Trek entnommenes „Resistance is futile“ in die zahlreich erschienenen Zuschauer. Der Konzertanfang geriet zum großen Luftballon-Happening. Es herrschte echte Partystimmung, die auch bis zum Ende mühelos durchgehalten wurde.
Und wieder ein kompletter Wechsel. Im Heidnischen Dorf hatten sich Varg angekündigt. Pagan-Metal aus dem idyllischen Coburg und bekannt für energiegeladene Live-Shows. Wer genau diese erwartet hatte, wurde auch nicht enttäuscht. Philipp Seiler und seine Mannen bliesen den Zuschauern an diesem Tag das letzte Regenwasser aus den Anzugfalten. Denn wettertechnisch war mittlerweile nicht mehr alles eitel Sonnenschein, sondern Regenschauer hatten bis dahin zumindest bei den Freiluft-Veranstaltungen für nasse Besucher gesorgt. Die Band präsentierte auch Songs von ihrer aktuellen EP „Götterdämmerung“ und sorgte unter den zahlreichen Besuchern für ordentlich Treffen-Stimmung.
Damit aber genug metal-lastige Bands für den heutigen Tag, der Abschluss des Sonntags fand dann in der dem Heidnischen Dorf benachbarten Agra-Halle statt. Mit den Briten von The Mission wurde erneut ein echtes Highlight aufgeboten. Ex-Sister-of-Mercy-Mitglied Wayne Hussey (für den diese Episode vor über 30 Jahren wohl mittlerweile kaum noch erinnerungswürdig ist) und seine Bandkollegen boten einen Hauch von Superstar-Glanz mit ihrem Auftritt. Da kann er es sich auch erlauben, ordentlich zu überziehen. Man weiß nie, wie oft man die Band noch zu sehen bekommt, immerhin löst sie sich alle paar Jahre wieder auf. Bisher wurde aber immer wieder die Reunion gefeiert. Auch hier in der Agra-Halle ist das Publikum von der Show begeistert.
Als besonderer Special Act folgen spät Nachts noch Skinny Puppy. Die Canadier, bekannt für spektakuläre, verstörende Live-Shows, die die Zuschauer an die Grenzen bringen sollen, war schon der zweite Höhepunkt an diesem Abend. Zwar blieb den Besuchern in den hinteren Reihen der großen Halle vermutlich nur technoides Gestampfe und wilde Lichtblitze, aber wer einen Stehplatz weiter vorne ergattert hatte, durfte Sound- und Show-technisch sicher mehr mitbekommen haben. Und was Nivek Ogre und cEvin Key abfeuerten, hatte durchaus Schauwerte. Auf jeden Fall eine gute Gelegenheit, Skinny Puppy, die sich gerade auf Europa-Tournee befinden, einmal live zu erleben.
Montag
Tag vier und damit der letzte Tag des Treffens. Jetzt galt es noch einmal, die letzten Kräfte zu sammeln und zu den Veranstaltungsorten der persönlichen Wahl zu pilgern. Wir erinnern uns: mehr als 70 verschiedene Orte mit eigenen Veranstaltungen, Ausstellungen, Lesungen, Musik in fast jeder Facette buhlten um die Aufmerksamkeit von ca. 21.000 Gästen. Ich begann meinen Tag mit Johnny Deathshadow im Täubchenthal. Die Band macht nach Eigenaussage „irgendsowas mit Zombies, völlig verrückt“. Den Zuschauern war’s egal. Oder kamen sie extra deswegen? Denn auch bei diesem Opener war der Saal schon recht gut gefüllt und die Stimmung wurde noch zusätzlich angeheizt, als Bassist Daniel Meier den Moshpit vor der Bühne anführte. Auch sonst wussten die Jungs, wie sie die Stimmung zum Kochen bringen konnten. Interaktion mit dem Publikum 1+.
Hier war ich ohne jedes Vorwissen ins Rennen gegangen. Der Name Percival sagte mir gar nichts. Der Aufbau auf der Bühne ließ jedoch schon erahnen, dass es sich hier eher um akustische Instrumentierung handeln würde. Und so war es auch. Percival, als eine Art Outsourcing-Projekt der polnischen Band Percival Schuttenbach gegründet, widmet sich anders als die letzteren nicht dem Folk-Metal, sondern interpretiert slawische Volkslieder und sonstige als alt und traditionell empfundene Musik aus Osteuropa. Und das auf eine äußerst sympathische und mitreißende Weise. Sogar ein Metal-typisches Solo auf der akustischen Mandoline war dabei. Sehr lustig! Wer das Computerrollenspiel The Witcher kennt, wird einige ihrer Songs, die sie auch auf dem WGT spielten, dort wieder finden, denn für den Soundtrack des Spieles steuerten sie diverse Stücke bei. Auch sonst entführt die Musik der Gruppe in andere Zeiten und Länder. Eine tolle Entdeckung für mich auf diesem Treffen! Benannt hat sich die Band übrigens nach einem Charakter aus den Witcher-Romanen des polnischen Autors Andrzej Sapkowski.
Danach wieder elektrisch verstärkte Gitarren anstatt Byzantinischer Lyra. Welicoruss rockten die Bühne, um einmal diesen abgedroschenen Spruch zu zitieren. Die Russen aus der Anderthalbmillionenstadt Nowosibirsk waren sicher eine der Bands mit der weitesten Anreise nach Leipzig. Sie ließen sich jedoch nicht lumpen und brannten ein Feuerwerk an Spielfreude und Energie ab. Ihr ziemlich episch geratener Pagan-Black-Metal überzeugte viele Zuschauer, mitzubangen.
Kein Tag ohne Kontrastprogramm. Heute waren es Schneewittchen, die mit ihrer Mischung aus Pop und Chanson für mich einen Kontrapunkt setzten. Um den Auftritt zu sehen, eilte ich flugs zum Kohlrabizirkus und kam keine Minute zu spät. Sängerin Marianne Iser trat wie so oft in einem phantasievollen Kostüm auf, während sie die Songs des Duos performte. Als Überraschungsgäste hatten sich die beiden die Band Oberer Totpunkt um Sängerin Bettina Bormann auf die Bühne geholt (die übrigens auch einen eigenen Auftritt auf dem WGT hatten). Das Publikum war begeistert. Nach einer kleinen technischen Panne konnte das Konzert fortgesetzt werden und beide Bands begeisterten im Duett.
Den Abschluss sollte in diesem Jahr der Auftritt von Equilibrium im Felsenkeller bilden. Die Spielstätte war ordentlich gefüllt, es hatten also auch noch jede Menge andere Leute die gleiche Idee, mit Pagan-Metal den Abschluss des 26. Wave-Gotik-Treffens zu feiern. Sänger Robse hatte wie immer das Publikum im Griff und so ging eine begeisterte Menge zu den Songs der Bayern ab und feierte bis zum unvermeidlichen Schluss. Damit war auch dieses WGT Geschichte. Auf ein Neues im nächsten Jahr.